27.01.2023

Mündliche Verhandlungen am EPA: Videokonferenzen als „neue Normalität“ auch bei den Beschwerdekammern?

Im November letzten Jahres hat der Präsident des Europäischen Patentamts (EPA) entschieden, dass alle mündlichen Verhandlungen vor den Prüfungs- und Einspruchsabteilungen (allgemein als „erstinstanzliche Verfahren“ bezeichnet) per Videokonferenz abgehalten werden, es sei denn, ein Beteiligter beantragt eine persönliche Verhandlung (European Patent Office (epo.org)). Für einen solchen Antrag müssen schwerwiegende Gründe angegeben werden, und die endgültige Entscheidung wird von der jeweiligen Abteilung getroffen, ohne dass ein Rechtsmittel eingelegt werden kann.

Nun haben die Beschwerdekammern („zweite Instanz“) eine Mitteilung herausgegeben, in der sie ankündigen, die COVID-19-Maßnahmen in ihren Räumlichkeiten aufzuheben (EPO – Oral proceedings before the Boards of Appeal – pandemic measures cease; oral proceedings by VICO still provided). Die Möglichkeit, mündliche Verhandlungen per Videokonferenz abzuhalten, bleibt bestehen, und nicht nur das: Es liegt im Ermessen der Kammer, ob die mündliche Verhandlung in Präsenzform stattfinden soll oder nicht. Der Mitteilung zufolge tragen Videokonferenzen zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN) bei. Wir sehen dies als eine Aufforderung, die Videokonferenz als bevorzugtes Format zu nutzen. Ähnlich wie in erstinstanzlichen Verfahren kann ein Beteiligter zwar Gründe für ein bestimmtes Format vorbringen, die endgültige Entscheidung liegt jedoch im Ermessen der Kammer.

Diese Entwicklung steht im Einklang mit der Entscheidung des Präsidenten, aber in offensichtlichem Gegensatz zur Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer (GBK; EPO – G 0001/21 (Oral proceedings by videoconference) of 16.7.2021). Nach Ansicht der GBK ist „eine persönliche Anhörung das optimale Format oder, um einen im europäischen Patentrecht wohlbekannten Begriff zu verwenden, der Goldstandard. […] Es ist auch das Format, das der Gesetzgeber im Sinn hatte, als er Artikel 116 EPÜ verfasste. Daher sollte die persönliche Anhörung die Standardoption sein. Den Parteien kann diese Option nur aus guten Gründen verwehrt werden.

Es wird interessant sein zu sehen, wie das Erreichen nachhaltiger Entwicklungsziele als fallspezifischer „guter Grund“ angeführt wird, insbesondere wenn alle an der mündlichen Verhandlung teilnehmenden Personen die Räumlichkeiten der Beschwerdekammern mit dem Zug erreichen könnten.

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