28.03.2023

Nachweis eines technischen Effekts durch nachgereichte Daten zulässig
(G 2/21)

Die Große Beschwerdekammer (GBK) hat in ihrer kürzlich veröffentlichten Entscheidung G 2/21 festgestellt, dass nach dem Anmeldetag nachgereichte experimentelle Belege zum Nachweis eines technischen Effekts verwendet werden können. Aufgrund der möglichen Auswirkungen, insbesondere für Anmeldungen zur zweiten medizinischen Indikation, wurde die Entscheidung mit Spannung erwartet.

Die GBK befasste sich mit Fragen zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung und dem Begriff der „Plausibilität“ im Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit.

Bis zu dieser Entscheidung der GBK beschrieb der Begriff „Plausibilität“ von vielen Beschwerdekammern berücksichtigtes Prinzip. Nach bisheriger Rechtsprechung galt eine therapeutische Anwendung als ausreichend offenbart, wenn die Anmeldung bzw. das Patent und/oder der allgemeine Wissensstand Informationen enthielten, die es dem Fachmann technisch plausibel erscheinen ließen, dass die beanspruchten Verbindungen für die beanspruchte therapeutische Verwendung eingesetzt werden können (T 1599/06 zitiert nach T 609/02).

Die GBK vertrat nun die Auffassung, dass der Begriff „Plausibilität“ keinen eigenständigen Rechtsbegriff oder ein spezifisches patentrechtliches Erfordernis nach dem EPÜ darstellt – der Begriff beschreibe vielmehr ein von der Rechtsprechung aufgegriffenes allgemeines Schlagwort.

In seinem Urteil betont die GBK den Grundsatz der freien Beweiswürdigung:

„(1) Beweise, die ein Patentanmelder oder -inhaber zum Nachweis einer technischen Wirkung vorlegt, die für die Anerkennung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands geltend gemacht wird, dürfen nicht allein deshalb unberücksichtigt bleiben, weil diese Beweise, auf denen die Wirkung beruht, vor dem Anmeldetag des Streitpatents nicht öffentlich bekannt waren und erst nach diesem Tag eingereicht wurden.

2. Ein Patentanmelder oder Patentinhaber kann sich für die erfinderische Tätigkeit auf eine technische Wirkung berufen, wenn der Fachmann in Kenntnis des allgemeinen Wissensstandes und auf der Grundlage der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung diese Wirkung als von der technischen Lehre umfasst und von derselben ursprünglich offenbarten Erfindung verkörpert herleiten würde.“

Um sich auf eine technische Wirkung zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berufen zu können, ist also die Frage zu beantworten, was der Fachmann, der über ein allgemeines Fachwissen verfügt, am Anmeldetag aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung als technische Lehre der beanspruchten Erfindung verstehen würde. Die technische Wirkung, auf die man sich dabei beruft, muss auch in einem späteren Stadium der Anmeldung von dieser technischen Lehre erfasst sein. Dieser Leitsatz soll es einer zuständigen Beschwerdekammer oder einem anderen Entscheidungsgremium ermöglichen, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob nachveröffentlichte Beweismittel zur Stützung einer geltend gemachten technischen Wirkung herangezogen werden können oder nicht (Pressemitteilung vom 23. März 2023 zum Beschluss G2/21 der GBK).

In der Konsequenz kann eine Anmeldung nicht wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen werden, weil die Daten zum Zeitpunkt der Anmeldung nicht verfügbar waren. Sowohl in streitigen Verfahren als auch im Prüfungsverfahren muss geprüft werden, ob nachgereichte Daten die von der GBK vorgeschlagenen Kriterien erfüllen. Gegebenenfalls sind die Daten bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.

Es bleibt abzuwarten, wie diese Vorgaben von den zuständigen Körpern in der Praxis umgesetzt werden.

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